Fenster der Gebote © Robert Münch
Historischer Ort des Gebets
Ein zugänglicher Ort voller Klang, Farben und Symbole
Die Michaelskapelle
Sichtbar und hörbar
Wenn mittags um 12 Uhr die Kirchenglocken unten im Dorf von Reichelsheim läuten und weit durch das Tal zu hören sind, dann stimmt die kleine Schwester auf dem Berg oben mit ein:
In der Michaelskapelle von Schloss Reichenberg wird an Werktagen per Hand die Glocke in Schwung gebracht und zum Beten eingeladen. Die kleine Glocke klingt heller und einstimmiger als die großen Schwestern im Tal und trägt die Aufschrift:
Jesus ist Sieger!
Damit ist über die Michaelskapelle schon viel gesagt.
In der Kapelle steht eine Bibelbox, aus der sich Besucher gerne eine Bibel mitnehmen können. Dieses Angebot ermöglicht die Männel-Wolf-Stiftung.
Die 8 Maßwerkfenster
Sichtbar und hörbar
Die Sanierung der Michaelskapelle fand zwar von 1982-1988 statt jedoch, „vollständig“ fertig wurde sie erst mit dem Einbau von farbigen Kirchenfenstern in die 8 Maßwerkfenster im Dezember 2014. Diese wurden vom Odenwälder Glaskünstler Robert Münch erdacht, hergestellt und eingebaut.
Sie sind herzlich willkommen, den Kirchenraum mit seinen Farbfenstern auf sich wirken zu lassen. Gedanken und Anregungen zur Meditation gibt es im Rahmen einer Führung.
Geschichte
Die Fundamente der Kapelle reichen bis auf den massiven Felsen herunter. Zusätzlich wurden zwei Fundamentreste gefunden, die wahrscheinlich zu einer alten Toreinfahrt gehörten. Sie könnten aber auch die Fundamentreste einer heidnischen Kultstätte gewesen sein, denn oft wurden Kapellen zur Zeit der Christianisierung über alten – auf Höhen gelegenen – heidnisch-germanischen Kultstätten errichtet.
Die Michaelskapelle, benannt nach Michael, dem Engelfürst, hebräisch „Wer ist wie Gott?”, ist eine Kampfansage an den Widersacher Gottes. Michael (mit Speer in der Hand den Drachen tötend) steht für das Gottesvolk ein und führt es am Ende zum Sieg (Offb. 12).
Erbaut wurde sie gegen Ende des 14. Jahrhunderts durch den Schenken Eberhard X. und seine Frau Marie von Bickenbach, die 1390 heirateten. Ihre beiden Wappen befanden sich auf den Gewölbeschlusssteinen. Ihr Sohn Dietrich wuchs auf dem Reichenberg auf und wurde 1434 Erzbischof von Mainz und Kurfürst.
Die Kapelle ist im Zuge der dritten Bauperiode der Burganlage an der südwestlichen Ecke der Vorburg entstanden. Möglicherweise wiederum in aufeinander folgenden Bauabschnitten, zuletzt der Chorraum mit Rippengewölbe und evtl. noch später zwei verschiedene Eingänge: einen für die Grafenfamilie, einen für das gemeine Volk.
Interessant sind die Maße: 14 m Gesamtlänge der Kapelle, 1,4 m Fensterbreite, 1,4 m Boden-Fenster-Abstand. Original Buckelquader an der Südwestecke, Kalksumpf für Glattputz der Kapelle innen und außen gefunden, sowie winzige Farbreste in der Kapelle lassen die Farbe vom ursprünglichen Sandstein und Verputz noch erkennen.
Außer einigen wenigen Hinweisen, dass die Michaelskapelle während Kriegszeiten (besonders während des 30-jährigen Krieges) auch für Taufen von auf der Fliehburg geborenen Kindern verwendet wurde, gibt es sehr wenige historische Daten.
Die Reformation
Die Reformation wurde in der Grafschaft Erbach 1544 offiziell eingeführt.
Als 1731 die Reichenberger Linie der Erbacher Grafen nach Erbach übersiedelte, verfiel die Burganlage nach und nach, so auch die Kapelle. Fast hundert Jahre später, 1825, finden sich drei Belege (Umbauanträge), die nahelegen, dass das Dach der Kapelle abgebaut und das Material anderweitig verbaut wurde. Dadurch geriet die Kapelle in einen sehr schlechten Zustand. Vor dem endgültigen Verfall rettete sie die Initiative von Jakob Siefert, der das Schloss 1924 erworben und 1936 auf das Gotteshaus ein neues Dach hatte bauen lassen.
1973-1978 vermietete die Post die Schlosskapelle an den Frankfurter Kurt Reichmann als Atelier für den Bau historischer Musikinstrumente. Reichmann baute die Kapelle zur Werkstatt und Ferienwohnung aus und nutzte sie für Konzerte.
Juli 1979 kaufte die ökumenische Kommunität Offensive Junger Christen Schloss Reichenberg und baute es zu einer Begegnungs- und Tagungsstätte mit öffentlichem Café aus.
Von Anfang an verstand sie die Michaelskapelle als das Herzstück der Gemeinschaft und übernahm so bald wie möglich, im Mai 1980, vom Musikinstrumentenbauer das spätgotische Gebäude.
Von 1982-1988 konnte es durch Steinmetz Erich Schneider und ein OJC-Team renoviert werden. Dabei wurde das völlig zerstörte Deckengewölbe über dem Chor wieder komplett hergestellt und die Maßwerkfenster erneuert. Während des Baus wurde die Kapelle schon so oft wie möglich als Gottesdienstraum benutzt.
Am 12. Mai 1988 wurde die renovierte Michaelskapelle neu eingeweiht und wieder in Dienst genommen durch den offiziellen Vertreter der EKHN, Prof. Karl Dienst, Darmstadt. Seitdem finden dort tägliche Gebetszeiten und regelmäßige Abendmahlsfeiern der OJC-Kommunität statt.
Ausstattung und Symbole
Wer heute die Michaelskapelle betritt, findet eine reichhaltige Symbolik vor, die auf den erneuerten Schlusssteinen des Gewölbes, am Altar und auf den Bildern zu sehen ist, mit denen das Gebäude seit seiner Restaurierung ausgestattet wurde.
Die Motive speisen sich sowohl aus den Bildern der Bibel oder der Alten Kirche, geben aber auch Zeugnis von der internationalen ökumenischen Geschwisterschaft, in die die Kommunität eingebunden ist.
Schlussstein Siegeslamm
Jesus Christus hat den Tod besiegt. Die Mittel, die er dazu gewählt hat, sind die eines verletzlichen Lammes, ohne Gewalt und ohne Hass. Der sich opfernde Pelikan: Dieses Symbol, das sich auf zahlreichen Reliefs und Darstellungen des Mittelalters findet und einen seine Jungen fütternden Pelikan zeigt, steht für Jesus Christus, der bereit ist, für die Menschen, die er liebt, sein eigenes Leben zu opfern.
Schlussstein 3 Hasen
Drei Hasen sind zu sehen, die jeder zwei, aber alle gemeinsam nur 3 Ohren besitzen. Das Geheimnis der Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist wird so versucht, bildlich darzustellen.
Deckengewölbe
Der Altar aus Sandstein holt das Deckengewölbe umgekehrt auf den Boden herunter, sozusagen den Himmel auf die Erde, ganz so wie die biblische Überlieferung es erzählt:
Gott wird Mensch und lebt unter uns und wir sehen seine Herrlichkeit.
Die Glasplatte gibt dem Altar den Ausdruck eines nach oben offenen Kelches.
Die 2 Ikonen
Zwei Ikonen aus der orthodoxen Tradition erzählen Geschichten:
- Auf der linken ist Maria zu sehen, die durch einen Engelboten von ihrer besonderen Bestimmung erfährt.
- Die rechte Ikone stellt den Erzengel Michael dar.
Der Architekt Hermann Klenk, seit Jahrzehnten Mitglied der Kommunität und von Anfang an wesentlich am Wiederaufbau der Kapelle beteiligt, erzählt dazu:
„Zu der Zeit, als die Arbeiten an der Kapelle kurz vor ihrer Vollendung waren, machte unser damaliger Schlosspfarrer Peter Zimmerling eine Reise auf den Athos, der orthodoxen Mönchsrepublik in Griechenland.
Dort besuchte er das serbische Kloster Chilandar und kam mit dessen Verwalter Vater Mitrophan ins Gespräch, denn der sprach sehr gut Deutsch. Vater Mitrophan erzählte unserem Pfarrer, dass er als junger Mann in Deutschland gewesen war und unter anderem durch die Begegnung mit den Evangelischen Marienschwestern in Darmstadt zum Glauben gefunden hatte.
Als Herr Zimmerling erzählte, er käme aus ‚einer kleinen ökumenischen Kommunität in der Nähe von Darmstadt‘, strahlte Vater Mitrophan über das ganze Gesicht, da er die Veröffentlichungen der OJC kannte. Herr Zimmerling äußerte den Wunsch, eine Christusikone für die Schlosskapelle zu kaufen.
‚Leider nicht‘, entgegnete Vater Mitrophan, denn sie hätten keine mehr auf Vorrat und um eine neue Ikone zu malen, reiche die Zeit nicht aus. Doch am nächsten Tag kam er auf Herrn Zimmerling zu und sagte: ‚Heute Nacht ist mir eingefallen, dass wir noch eine Ikone haben, die jemand bestellt und dann nicht abgeholt hatte. Es ist allerdings eine Michaels-Ikone‘.
So kam, dass unser Pfarrer kurz vor der Einweihung der Schlosskapelle dieses Geschenk mitbrachte, das für uns seitdem ein kostbares Zeichen der Verbundenheit mit den Mönchen der Schwesterkirche der Orthodoxie ist.“
Die 12 Lampen
Die schmiedeeisernen 12 Lampen in der Kapelle sind in der Form einem Ritterschild nachempfunden. So wie früher die Schutzschilder das Hoheitszeichen des Feldherren trug, in dessen Dienst die jeweiligen Ritter standen, so tragen diese Lampen das Kreuz des Christus, des Friedefürsten, in dessen versöhnendem Dienst die Kommunität steht.
Die Leuchten wurden 1982 vom Kunstschmied Jürgen Rogner (*1937 – †2012) aus Pforzheim in seiner Kunstschmiede Rudolf Dietz, hergestellt. Das Licht um die Lampen herum scheint Engelsflügel an die Innenwände der Kapelle zu zeichnen.
Die 8 Kirchenfenster
Wie oben bereits erwähnt, baute im Dezember 2014 der Odenwälder Glaskünstler Robert Münch farbige Kirchenfenster in die 8 Maßwerkfenster der Michaelskapelle ein.